Flurfunk im Unternehmen: harmloses Geplauder oder gefährliches Gift?
In jedem Unternehmen existiert er, mal laut und offensichtlich, mal leise und unterschwellig: der Flurfunk. Gemeint sind damit informelle Gespräche zwischen Mitarbeitenden, meist außerhalb offizieller Kommunikationswege. Der kurze Plausch in der Kaffeeküche, das Tuscheln am Drucker, der zufällige Austausch auf dem Parkplatz. Oft beginnt es harmlos: ein Halbsatz über eine neue Kollegin, eine vage Vermutung zur nächsten Umstrukturierung, ein Kommentar zum Verhalten der Führungskraft. Doch wie wirkt sich dieser Flurfunk tatsächlich aus? Und was steckt eigentlich dahinter?
Was ist dran am Flurfunk?
Flurfunk ist mehr als nur Klatsch und Tratsch. Aus kommunikationspsychologischer Sicht erfüllt er sogar wichtige soziale Funktionen. Orientierung spielt dabei eine zentrale Rolle: Wenn offizielle Informationen fehlen oder zu spät kommuniziert werden, füllt der Flurfunk diese Lücke. Menschen sind Sinnsucher. Wo Unsicherheit herrscht, entstehen schnell Theorien, oft auf Basis von Halbwissen. Auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist ein Motor des Flurfunks. Der Austausch über nicht-offizielle Inhalte stärkt das Gruppengefühl. Wer „mitredet“, fühlt sich dazugehörig. Hinzu kommt ein menschliches Bedürfnis nach Entlastung: Emotionale Ventile sind wichtig, und der Flurfunk bietet Raum für Frust, Angst, Humor – kurzum: für Menschlichkeit.
Wann wird der Flurfunk gefährlich?
Der Grat ist schmal. Denn so nachvollziehbar der Wunsch nach Austausch auch ist, der Flurfunk kann erheblichen Schaden anrichten, besonders dann, wenn er sich verselbstständigt. Halbwissen wird zu vermeintlicher Wahrheit. Was jemand „gehört hat“, wird weitererzählt und verändert sich dabei wie in der stillen Post. Vertrauen schwindet. Statt Klarheit entstehen Gerüchte, die das Vertrauen in Führung und Organisation untergraben. Teamdynamiken kippen, weil sich Lager bilden, Spannungen wachsen oder einzelne sich ausgeschlossen fühlen. Besonders problematisch wird es bei Veränderungsprozessen. Wer über informelle Kanäle von neuen Plänen hört, fühlt sich übergangen, misstraut den Beweggründen und reagiert mit Widerstand, oft ohne das große Ganze zu kennen.
Ich sehe was, was du (noch) nicht siehst – was steckt dahinter?
Der Satz „Ich sehe was, was du nicht siehst“ erinnert an ein Kinderspiel. Doch im beruflichen Kontext kann er eine ganz andere Wirkung entfalten. Er steht für ein Informationsungleichgewicht, das Unsicherheit und Abhängigkeiten schafft. Wer suggeriert, mehr zu wissen als andere, erhöht sich und erzeugt Spannungen. Besonders kritisch ist es, wenn Führungskräfte oder Schlüsselpersonen bewusst oder unbewusst Teil des Flurfunks werden. Wer in Machtpositionen Informationen streut statt sie klar zu kommunizieren, handelt fahrlässig oder sogar manipulativ. Es entsteht eine Kultur der Intransparenz, in der Vertrauen schwindet und sich Mitarbeitende zurückziehen.
Wie lässt sich der Flurfunk konstruktiv steuern?
Flurfunk muss nicht per se negativ sein. Aber er braucht einen Rahmen. Unternehmen profitieren davon, wenn sie diese informellen Strömungen ernst nehmen und als Einladung verstehen, Kommunikation aktiver zu gestalten. Fünf Hebel helfen dabei:
Transparenz fördern: Je klarer und ehrlicher die offizielle Kommunikation ist, desto weniger Raum bleibt für Spekulation. Dazu gehört es, Veränderungen frühzeitig zu kommunizieren und auch Unsicherheiten offen anzusprechen.
Feedbackkultur stärken: Mitarbeitende brauchen offizielle Räume, in denen sie Fragen stellen und Kritik äußern können, zum Beispiel in regelmäßigen Teammeetings, anonymisierten Umfragen oder offenen Sprechstunden.
Führung sensibilisieren: Führungskräfte prägen die Kultur maßgeblich. Sie sollten nicht mittratschen, sondern einladen, erklären und zuhören. Ihr Verhalten entscheidet darüber, ob Vertrauen entsteht oder nicht.
Wertschätzende Pausenkultur etablieren: Den Flurfunk ganz abschaffen zu wollen, wäre realitätsfern. Aber ihn bewusst zu gestalten, ist möglich. Pausenräume und Kaffeeküchen können Orte des echten Austauschs sein, wenn die Kultur stimmt.
Informationen zugänglich machen: Ob digitale Kanäle, Aushänge, Intranets oder kurze Video-Updates, Was offiziell kommuniziert wird, sollte schnell, verständlich und für alle erreichbar sein.
Was können Mitarbeitende tun, wenn sie mit Flurfunk konfrontiert werden?
Nicht nur Führungskräfte, auch Teammitglieder tragen Verantwortung für eine gesunde Kommunikationskultur. Wenn Gerüchte die Runde machen oder spekulative Gespräche Überhand nehmen, hilft es, achtsam zu handeln:
Vor dem Weitererzählen innehalten: Trägt diese Information zu mehr Klarheit bei oder eher zur Verwirrung? Will ich überhaupt Teil dieser Kommunikation werden?
Klar Grenzen setzen: Wenn Gespräche ins Spekulative abgleiten, kann eine höfliche Rückmeldung helfen, etwa: „Lass uns das lieber mit der betreffenden Person klären.“
Gespräche umlenken: Wer fragt „Was brauchen wir gerade wirklich, um gut weiterarbeiten zu können?“ bringt das Gespräch zurück auf eine konstruktive Ebene.
Unsicherheiten gezielt ansprechen: und zwar dort, wo sie hingehören. Bei Führungskräften oder zuständigen Ansprechpersonen.
Die Teamkultur aktiv mitgestalten: Werde Vorbildfunktion in deiner Kommunikation.
Erste-Hilfe-Checkliste für Führung und Team
- Wurde ein neues Gerücht bekannt? Kurz innehalten und reflektieren: Was steckt dahinter?
- Gibt es eine offizielle Informationslücke? Dann diese schnellstmöglich schließen.
- Gibt es Gesprächsformate, in denen Unsicherheiten benannt werden dürfen?
- Wird in Teams regelmäßig über den Umgang mit Kommunikation gesprochen?
- Sind Führungskräfte ansprechbar, klar und verlässlich in ihrer Informationsweitergabe?
Konsequenzen eines ignorierten Flurfunks
Wer den Flurfunk ignoriert, riskiert langfristig den Zusammenhalt im Unternehmen. Mitarbeitende ziehen sich zurück, Entscheidungen werden hinterfragt, das Vertrauen in Führung und Organisation sinkt. Konflikte schwelen, statt offen gelöst zu werden. Die emotionale Bindung zum Unternehmen nimmt ab, ebenso wie die Motivation, sich zu engagieren. Die Produktivität leidet, weil Energie in Spekulation statt in Ergebnisse fließt. Nicht selten folgt eine erhöhte Fluktuation oder innere Kündigung.
Informieren statt spekulieren – was Unternehmen jetzt tun können
Der Flurfunk ist ein Spiegel der Unternehmenskultur. Wo er wuchert, fehlt es oft an Vertrauen, Transparenz und echtem Austausch. Doch genau darin liegt auch die Chance. Wer hinschaut, erkennt den Flurfunk als Frühwarnsystem als Signal dafür, dass etwas fehlt. Anstatt ihn zu verbieten oder zu ignorieren, lohnt es sich, ihn ernst zu nehmen und die eigene Kommunikation zu überdenken. Denn: „Ich sehe was, was du nicht siehst“ muss kein Ausdruck von Macht oder Unsicherheit sein, wenn wir beginnen, mehr miteinander zu reden.
Ich unterstütze Unternehmen, Teams und Führungskräfte dabei, eine starke und gesunde Kommunikationskultur aufzubauen. In Workshops, Trainings oder moderierten Dialogprozessen entwickeln wir gemeinsam Wege zu mehr Klarheit, Vertrauen und Miteinander auch und gerade in Zeiten des Wandels.